BZgA-Forschungsbericht: Drogenaffinitätsstudie 2019

Im Dezember 2020 veröffentlichte die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) die Ergebnisse ihrer Studie „Die Drogenaffinität Jugendlicher in der Bundesrepublik Deutschland 2019 – Teilband Computerspiele und Internet“. Dieser Forschungsbericht wertet, wie bereits in den Jahren 2011 und 2015, die Nutzung von Computerspielen und Internetangeboten bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen aus. Bei der Drogenaffinitätsstudie handelt es sich um eine deutschlandweite Repräsentativbefragung von 7.000 Personen im Alter zwischen 12 und 25 Jahren. Die Ergebnisse des Forschungsberichts werten aktuelle Trends im Mediennutzungsverhalten aus und geben daher wertvolle Hinweise für viele Arbeitsbereiche in der Suchthilfe.

Lesen Sie hier die wichtigsten Erkenntnisse der Drogenaffinitätsstudie 2019.

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In der Forschung werden verschiedene Begriffe für medienbezogene Verhaltenssüchte verwendet, darunter Internetabhängigkeit, internetbezogene Störung oder Computerspielsucht. Übergreifend wird häufig auch von einer exzessiven, problematischen oder pathologischen Internet- bzw. Mediennutzung gesprochen.

Erkenntnisse der Drogenaffinitätsstudie

Seit der vorangegangenen Studie im Jahr 2015 ist der Anteil von Jugendlichen und jungen Erwachsenen, die ein problematisches Mediennutzungsverhalten oder sogar eine internetbezogene Störung aufweisen, angestiegen. Viele Fachkräfte, die im Bereich der Suchtprävention, Beratung und Therapie aktiv sind, werden mit den Folgen dieser Entwicklung in ihrem Berufsalltag bereits konfrontiert. Um Ihnen einen Überblick über die aktuelle Tendenz zu ermöglichen und wichtige Erkenntnisse für Ihre Arbeit ableiten zu können, fassen wir nachfolgend die wichtigsten Ergebnisse zusammen:

 

  • Internetangebote, die der Kommunikation dienen, nehmen den höchsten Stellenwert bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen ein.

  • Neben den Kommunikationsmöglichkeiten werden am häufigsten internetbasierte Unterhaltungs- und Informationsangebote sowie Computerspiele genutzt.

  • Bei etwa 8 % der Jugendlichen zwischen 12 und 17 Jahren ist von einer computerspiel- oder internetbezogenen Störung auszugehen.

  • Auch das „problematische Nutzungsverhalten“ ist gestiegen: Etwa 30 % der Befragten in der Altersgruppe der 12- bis 17-Jährigen  zeigen eine potenziell problematische Computerspiel- oder Internetnutzung.

  • In der Altersgruppe der 12- bis 17-Jährigen ist eine mit zunehmendem Alter steigende Tendenz für ein problematisches Nutzungsverhalten oder eine internetbezogene Störung sichtbar. Im jungen Erwachsenenalter geht dieser Trend wieder leicht zurück.

Die Altersgruppe der 12- bis 17-Jährigen nutzt Internetangebote und Computerspiele im Durchschnitt 22,8 Stunden pro Woche, während es bei den 18- bis 25-Jährigen 23,6 Stunden sind. Diese Zeiten bilden ausschließlich die private Nutzung ab, nicht die Internetnutzung für Schule, Ausbildung oder Arbeit. Eine signifikante Erhöhung zeigt sich beim Computerspielen und allen Nutzungsarten des Internets (mit Ausnahme des Online-Shoppings). 35 % der Jugendlichen spielen täglich Computerspiele, während es 2015 noch 22,9 % waren.

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Um festzustellen, ob bei den Befragten ein problematisches Mediennutzungsverhalten vorliegt, nutzt die Drogenaffinitätsstudie die „Compulsive Internet Use Scale“ (CIUS). Die CIUS bildet mithilfe einer Punkteskala von 0 bis 56 ab, ob bei Betroffenen eine internetbezogene Störung vorliegen könnte. Von 20 bis 29 Punkten wird von einer „vermutlich problematischen Internetnutzung“ ausgegangen, ab 30 Punkten ist von einer internetbezogenen Störung auszugehen.

Einfluss von Bildungsgrad und Migrationshintergrund auf das Nutzungsverhalten

In der Drogenaffinitätsstudie wird sichtbar, dass bei der Verbreitung eines problematischen Nutzungsverhaltens sowie bei computerspiel- und internetbezogenen Störungen Bildungsunterschiede vorliegen: Bei den 12- bis 17-Jährigen gehen höhere Prävalenzwerte durchschnittlich mit einer niedrigeren Bildung einher. Während Jugendliche, die das Gymnasium besuchen, häufiger die Kommunikationsangebote nutzen, verbringen Jugendliche mit einer niedrigeren Bildung täglich und wöchentlich mehr Zeit mit Computerspielen.

Außerdem stellt die Studie auch einen Zusammenhang zwischen Migrationshintergrund und Nutzungsverhalten fest. Sowohl ein problematisches Nutzungsverhalten als auch computerspiel- und internetbezogene Störungen sind bei Jugendlichen mit Migrationshintergrund stärker verbreitet, wobei die höchsten Prävalenzwerte in der Gruppe „Migrationshintergrund Türkei/Asien“ vorliegen: Bei 39,2 % der 12- bis 17-Jährigen liegt ein problematisches Nutzungsverhalten vor und bei 18,1 % sogar eine computerspiel- bzw. internetbezogene Störung. Im Vergleich dazu liegen die Werte bei Jugendlichen ohne Migrationshintergrund bei 31,1 % (problematische Nutzung) und 7,5 % (computerspiel-/internetbezogene Störung).

Derartige Unterschiede im Nutzungsverhalten deuten laut der Drogenaffinitätsstudie auf „unterschiedliche Lebensumstände, verfügbare Freizeit oder Interessen in den verschiedenen Gruppen“ hin. Diese demografischen Faktoren beeinflussen daher auch die Arbeit der Suchtprävention bzw. Suchthilfe und sollten sowohl in der zielgruppengerechten Aufklärung als auch Therapie berücksichtigt werden.

Anstieg des problematischen Nutzungsverhaltens bei Mädchen und Jungen

In der Auswertung zeigen sich zudem signifikante Geschlechterunterschiede in Bezug auf das Nutzungsverhalten:

  • Die Kommunikationsmöglichkeiten des Internets werden von weiblichen Jugendlichen stärker genutzt, während bei männlichen Jugendlichen die Nutzung von Computerspielen und Informationsangeboten stärker verbreitet ist.

  • Weibliche Jugendliche zwischen 12 und 17 Jahren sind von internetbezogenen Störungen stärker betroffen (10 %) als ihre männlichen Altersgenossen (7,0 %).

  • Bei Mädchen und jungen Frauen ist zudem ein vergleichsweise stärkerer Anstieg der internet- und computerspielbezogenen Störung sowie der problematischen Nutzung zu verzeichnen. Die Studie diskutiert, in Übereinstimmung mit anderen Forschungsberichten, einen möglichen Zusammenhang mit der Nutzung sozialer Netzwerke und der Verbreitung des Störungsbildes bei Mädchen und jungen Frauen.

  • Die durchschnittliche wöchentliche Nutzungsdauer hat sich bei männlichen Jugendlichen und jungen Männern am stärksten erhöht. Im Vergleich zu den Werten im Jahr 2015 hat sich die wöchentliche Nutzungsdauer bei männlichen Jugendlichen um 1,5 Stunden und bei jungen Männern um etwa 3 Stunden erhöht.

  • Bei Jungen zwischen 12 und 17 Jahren ist im Vergleich zur Studie von 2011 ein Anstieg der internet- und computerspielbezogenen Störungen von 3,0 auf 6,7 % sichtbar. Bei weiblichen Jugendlichen ist ein noch stärkerer Trend erkennbar: Der Anteil von betroffenen Mädchen hat sich zwischen 2011 und 2019 von 3,3 auf 8,7 % erhöht und damit mehr als verdoppelt.

Bedeutung des Forschungsberichts für die Suchtpräventionsarbeit

Die Nutzung der digitalen Medien ist nicht nur selbstverständlich, sondern in vielen Lebensbereichen unumgänglich geworden. Nicht nur im privaten Bereich hat die Computer- und Internetnutzung einen festen Platz eingenommen, auch im schulischen und beruflichen Kontext spielen die digitalen Medien eine zentrale Rolle. Eine gesunde und gemäßigte Mediennutzung gehört daher zu den absolut erforderlichen Grundkompetenzen des digitalen Zeitalters.

Um einer problematischen Computerspiel- und Internetnutzung sowie internetbezogenen Störungen vorzubeugen, ist vor allem eine frühzeitige Präventionsarbeit notwendig. Dazu gehört die frühe und individuell angepasste Medienerziehung im Elternhaus, die Medienkompetenzentwicklung in der Schule sowie die Aufklärungs- und Beratungsangebote geschulter Fachkräfte. Die daraus abzuleitenden Aufgaben sind für die Arbeit der Suchtprävention nicht neu, dafür aber richtungsweisend und bestärkend:

  • Die Medienkompetenz sollte frühestmöglich aufgebaut und umfassend gestärkt werden. Die Medienkompetenzentwicklung sollte schrittweise und altersgerecht stattfinden.

  • Kinder und Jugendliche müssen frühzeitig über die Problematik der exzessiven Mediennutzung aufgeklärt werden.

  • Bei der Präventions-, Beratungs- und therapeutischen Arbeit sollte auf wichtige demografische Merkmale Rücksicht genommen werden, wie Alter, Geschlecht, soziale Herkunft bzw. Migrationshintergrund und Bildungsgrad, die Entwicklung und Ausprägung eines problematischen Nutzungsverhaltens beeinflussen können.

  • Unterstützung und Hilfe für Betroffene sowie für ihre Angehörigen sollte bereits bei ersten Anzeichen für ein problematisches Nutzungsverhalten angeboten werden. Ein möglichst niedrigschwelliger Einstieg in  das Hilfesystem kann in vielen Fällen hilfreich sein (z. B.  Selbsthilfegruppen, Telefon- oder Online-Beratung).

Quellen

Orth, B. & Merkel, C. (2020). Die Drogenaffinität Jugendlicher in der Bundesrepublik Deutschland 2019. Teilband Computerspiele und Internet. BZgA-Forschungsbericht. Köln: Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung.